Ach nein, eigentlich fühle ich mich nicht alt, wenn ich einen Anime im bewährten 4:3-Format sehe. Keine Ahnung, was andere Leute da haben, immerhin ist er in Farbe!
Was hier vorliegt, ist ein Verschnitt aus Actionkomödie, Fantasy, Adventure und permanenter Parodie von alledem. Das Studio nimmt dies zum Anlass, nicht allzu scharf auf ausgefeilte Animation zu sein, was bei diesem Genremix auch gar nicht ins Gewicht fällt. Achja, Magie gibt's natürlich auch noch, und zwar richtig heavy.
Eigentlich meide ich die besagten Genres (und erst recht diese krude Mischung) wie das Vieh den elektrischen Weidezaun. Dennoch war mein Interesse geweckt, bzw. meine krankhafte Neugier, ob das wirklich so britzelt, wenn man da ranfasst. Ja, tut es. Spaß gemacht hat's aber trotzdem, auch wenn das aus der Wertung nicht so direkt ersichtlich ist. Und warum das so ist, möchte ich hier versuchen aufzudröseln.
Kennt eigentlich noch jemand Mantafahrer mit Fuchsschwanz und Vokuhila? Falls nicht, reicht es, die Kinofilme zu kennen und deren charakteristisches Low-brain-Personal. So ein Charakter ist Gokudou, der Protagonist. Ein asozialer Saftsack, dem die Gefühle anderer am Arsch vorbeigehen. Aber sowas von. Seine Umgangsformen sind die der Gosse, er denkt (bis auf wenige brillante Ausnahmen) grundsätzlich nicht weiter, als er pinkeln kann, plustert sein eh schon gusseisernes Ego auf bis zum Anschlag und hat dazuhin noch die schöne Gabe, allen, wirklich allen auf den Senkel zu gehen und es mit ihnen zu verscherzen, auch mit denen, die ihn aus der Patsche ziehen wollen. Fressen, Geld und Weiber ist alles, was ihn interessiert. Kurz, er ist ein unsoziales, gieriges Arschloch, das sich bei bester Gelegenheit aus der Verantwortung stiehlt und lieber die Fliege macht, sobald es so aussieht, als könnte es brenzlich werden. Was ziemlich oft der Fall ist. Und das Paradoxe dabei: all diese unsympathischen Eigenschaften zusammen machen ihn sympathisch. Nicht daß man ihn knuddeln oder ihn auch nur in seiner Nähe haben möchte; aber er ist beeindruckend direkt, fast schon aufrichtig, verstellt sich nicht und schmiedet keine finsteren Pläne. Sogar daß er sich völlig empathielos gibt, daß es ihm völlig schnurz ist, was mit den anderen um ihn herum passiert, ist ein großes Plus. So ist er für die Bösen nämlich nicht erpressbar. Denen bleibt nur das Maul offenstehen vor so viel Dreistigkeit, und schwupps, ist er schon über alle Berge.
Es gibt in dieser Serie eigentlich keine ruhige Minute. (Allein das in media res des Anfangs ist ein genialer Schachzug für sich.) Alles ist hochtourig und die Ereignisse folgen immer Schlag auf Schlag, egal ob grade was passiert oder nicht. Daher ist die Handlung eigentlich auch ziemlich nebensächlich, sie ist Vehikel und zugleich Rechtfertigung für abgefahrene Action, von der man nie so genau weiß, ob das noch ernst gemeint ist oder schon Parodie. Da eh alles völlig unvorhersehbar und überhaupt völlig random verläuft, ist es letztlich auch wurscht. Weil magische Kräfte unter magischen Bedingungen per se absolut willkürlich sind. Nur daß es hier noch um einige Potenzen steiler verläuft.
Die Comedy findet hier, verkürzt gesagt, in drei Geschmacksrichtungen statt. Da ist zum einen der ganz normale Wahnsinn, meist in Form slapstickhaft überdrehter Gags in ausgesprochen cartoonischer Ausführung (Obelix in der Rolle als Dschinn), mit den typischen visuellen Lustigkeiten, die man aus Mangas kennt. Es boingt und scheppert an allen Ecken und Enden. Die Pointen scheinen Resultat eines Trinkspiels zu sein. Jedenfalls fällt die Vorstellung schwer, all das sei in nüchternem Zustand zustandegekommen. Gerne werden typische Adventure-Topoi durch den Kakao gezogen, wenn z.B. die Gegner nicht durch das unvorhergesehene Wirken magischer Kräfte zur Strecke gebracht werden, sondern durch einen Spezialtrick von Gokudou, der da stolz verkündet: "Mein Furz hat euch gerettet!"
Die Qualität des Humors ist allerdings recht unterschiedlich und sehr wechselhaft. Sämtliche Aktionen entspringen der typischen Comedy- und Slapstick-Schiene und praktisch jedesmal sind sie mit den typischen lustigen Geräuschen unterlegt, die nicht Reales vertonen, sondern Lustiges überhöhen, also imaginärer Natur sind – wie zum Beispiel hier, wo ein sichtlich genervter Gokudou sich mit dem Finger auf den Unterarm klopft und dabei ein sehr hölzernes Geräusch zu hören ist.
Aber die Regie hat auch eine Vielzahl origineller Einfälle – und damit zu einer anderen Sorte Comedy. Die ist hauptsächlich selbstreferenzieller Natur. Vor allem, weil es da auch ein enormes Potential an Überraschungen gibt. Neue, frische Überraschungen, die tatsächlich lustig sind, ohne peinlich zu wirken. Ich jedenfalls hatte meine schiere Freude daran, wenn etwa die Szenerie von Tag auf Nacht wechselt und dazu, wie auf dem Kindertheater, eine neue Kulisse heruntergezogen wird, und zwar von einer Art Bunnyloli. Dieses Motiv bietet natürlich Gelegenheit für reichlich Variationen. Schon beim zweiten Mal klemmt die Maschinerie etwas. Ja klar, alles Topoi aus dem Kinderfernsehen, aber das passt auch hier. Von der – ich sag mal – geistigen Ursprünglichkeit her dürfte das Publikum hier nicht soviel anders sein.
Das zieht sich bis zur Schlußfolge, wo der schon geschlagene Antagonist feierlich-vernebelte Reden schwingt und das Argument einflicht: "sowas können wir in der letzten Folge doch nicht bringen!". Solche selbstbezüglichen Momente sind praktisch die Kirsche auf der Torte.
Damit verwandt ist eine dritte Spielart von Komik, nämlich die Genreparodie. Vor allem bei genretypischen Aktionen, aber auch beim Zitieren von Filmen und Animes, die so ihr Fett abbekommen. Ein besonders süßes Beispiel liefert das kleine, niedliche Bunnygirl von eben, welches hier Godzilla-mäßig seinen Auftritt hat: "GAO!" – Was wiederum etwas an »Mahoujin Guru Guru« erinnert (hier wie dort ein rothaariges Mädchen, übrigens). Aber auch das sinnfreie Zusammenmixen von unterschiedlichsten Sachen gehört dazu. Hier trifft europäisches Fantasy-Mittelalter auf alte Mythen aus Japan oder China, verschnitten mit den Attributen der modernen Welt (Handy, Idol-Kultur) sowie der Installation verschiedenster Welten – die jeweils von verschiedenen Mächten dominiert werden: Götter, Magier, Hotoke, Youkai, und was die japanische Sagenwelt sonst noch aufzubieten hat.
Und Gokudou immer mittendrin.
Damit also zurück zur Handlung, beziehungsweise zur Frage: "Was geschieht hier überhaupt?"
Einerseits kann man das nicht in ein, zwei Sätzen beantworten. Andererseits muss man sagen: es ist einfacher, als man meint. Was es unübersichtlich macht, ist die Aufsplitterung. Es wird nie ein Handlungsbogen zu Ende gebracht, denn immer stellt sich ein neues Problem in den Weg, das weggeräumt werden will, und bevor das geschieht, taucht wiederum ein anderes Problem auf, das man beseitigen muss, und so geht das ohne Ende. Bis es zu der Situation kommt, an der sich sogar die Persönlichkeiten aufsplitten, aufgrund eines dummen Magie-Unfalls. Jeder steckt ab da im Körper eines anderen, und diese vertrackte Situation zieht sich über etwa 10 Folgen. Selber hatte ich jedenfalls eher weniger Schwierigkeiten, was vielleicht auch daran lag, daß ich auf Chips und Bier zur mentalen Unterstützung dieser narrativen Katastrophe verzichten konnte.
Und gegen wen kämpft Gokudou überhaupt? – Ganz einfach: gegen alle, die seinen hehren Zielen entgegenstehen. Egal, ob Freund oder Feind. So geht es munter mal gegen Magier, mal gegen Götter oder Hotoke. Welche hehren Ziele nochmal gleich? Na, steht doch oben! "Fressen, Geld und Weiber".
Eines nämlich möchte ich auch festhalten: dieser Anime hat sicherlich viele herrliche, überraschende und lustige Momente, aber eben auch viel Leerlauf, vieles, worüber ich mich nicht so begeistern konnte, weil es erstens zu ausgelutscht ist und zweitens viele Gags bis zum Erbrechen ausgewalzt und wiederholt werden. Die Musik, genauer: die BGM, fügt sich da nahtlos ein. Im wesentlichen gesichtslos, ohne eigenständigen Charakter und durchweg synthetisch. Soll heißen: am Keyboard oder Computer erzeugt. Ein Stück aber lässt aufhorchen. Zum erstenmal hört man es in Episode 10, und es ist inspiriert (freundlich formuliert) vom »Lied des gebratenen Schwans« [Youtube] aus Orffs »Carmina Burana«.
Der liebe Gokudou mag kein Kind von Traurigkeit sein, aber seine Erscheinung überstrahlt alles andere derart, daß man vielleicht vergisst, daß die anderen es ebenfalls faustdick hinter den Ohren haben. Absolut keine Person in dieser animierten Irrenanstalt verkörpert hier die reine Unschuld. Keiner ist, was er zu sein scheint. Und dennoch "findet Überraschung statt, wo man sie nicht erwartet hat" [Wilhelm Busch]. Wie beispielsweise in der Figur des Einhorns (wer reitet hier wen?) oder bei Miroku als Wächter der Ewigkeit [Wikipedia] und der Erlösung. An dieser Stelle, so etwa ab Folge 21, wird der Anime merklich ernster und es werden u.a. einige ernsthafte philosophische Fragen angeschnitten – über Liebe, Glückseligkeit und Tod, wo man erkennt, daß Gokudous einfache, rustikale Art durchaus ihre Vorzüge hat und helfen kann, Licht ins Dunkel zu bringen. Da passt es natürlich sehr gut, daß Miroku von Shinji Ikari gesprochen wird. Verschiedentlich werden kleinere Wahrheiten nur sehr subtil angedeutet, wie zum Beispiel die Erkenntnis, daß es keine gute Idee ist, gewisse Frauen bis aufs Blut zu reizen.
Ein kleines Schlusswort als Fazit für Leute, die sich diesen Text nicht antun wollten und gleich zum Schluss springen:
Mögt ihr anspruchsvolle Anime? Vielleicht noch mit Message? Dann seid ihr hier falsch. »Gokudou« lebt so gut wie ausschließlich von Comedy und Parodie und nicht von der Story. Er stellt einiges aus dem Adventure-Genre auf den Kopf und stößt deren Fans womöglich vor den Kopf. Denn sowas wie "Rücksicht" existiert nicht in Gokudous Wortschatz.
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