Im Gegensatz zu meinen Vorrednern kenne ich die Serie „Baccano“ nicht und kann daher auch keinen Vergleich dazu ziehen. „Durarara!!“ habe ich mir aus einem ganz anderen Grund angeschaut, einem persönlichen allerdings. Ich verbringe gerade ein halbes Jahr in der Präfektur Saitama, im Nordwesten von Tôkyô. Wenn ich in die Stadt fahre, dann lande ich unweigerlich in Ikebukuro, und zwar mit der Tôbu-Tôjô-Eisenbahnlinie – genau wie Mikado in der ersten Folge. (Ich wüßte zu gerne, wo er eingestiegen ist – aber das sieht man leider nicht.)
Die deutschen Untertitel sind noch nicht fertig, wenn ich diese Zeilen schreibe, ich habe die Serie zur Hälfte mit deutschen und zur Hälfte mit englischen Untertiteln gesehen. In den englischen wird Ikebukuro oft als „city“ bezeichnet, das ist eigentlich nicht ganz richtig (kommt allerdings daher, daß in den Dialogen „Ikebukuro-machi“ gesagt wird – was genauso komisch klingt). Tôykô selbst bezeichnet in englischen Publikationen seine 23 Bezirke als city (zum Beispiel Shinjuku City, Shibuya City), obwohl das korrekte englische Wort eigentlich ward lautet. (Auf Japanisch ist es der Zusatz -ku hinter dem Namen.) Ikebukuro jedoch ist kein Bezirk, sondern ein Ortsteil, und liegt im Bezirk Toshima-ku. Freilich befindet sich das Bezirksrathaus in Ikebukuro, der zweitgrößte Bahnhof Tôkyôs (nach Shinjuku) und eigentlich überhaupt alles, was Toshima interessant macht.
Vieles davon sieht man auch in der Serie. Einige Namen wurden verändert, andere nicht; das Kaufhaus TOKYO HAND zum Beispiel heißt in Wirklichkeit TOKYU HANDS (ja, mit u, nicht mit o), der ABG Mart ist das Schuhgeschäft ABC Mart, die Boutique-Abteilung PARCO des Kaufhauses SEIBU wird in „Durarara!!“ RAPCO genannt. Andererseits wird das SEIBU-Kaufhaus selbst genauso bei seinem richtigen Namen genannt wie die Tôbu-Tôjô-Linie und das Anime- und Manga-Kaufhaus animate, während der danebenliegende Konkurrenzladen K-BOOKS zu K-BOOK verkürzt zu sehen ist. Der Gasversorger TOKYO GAS wird in der Serie seltsamerweise zu IKEBUKURO GAS.
Natürlich ist es reizvoll, einen Anime anzuschauen, der sozusagen vor der Haustür spielt. So kenne ich die kleinen „Parks“ („Grünstreifen“ trifft es ja wohl eher), in denen die Hauptcharaktere gelegentlich abhängen, aber die kleine Statue mit dem Notenschlüssel, die ich in der Serie gesehen habe, ist mir nie aufgefallen. Daraufhin habe ich gezielt darauf geachtet: Jawohl, ist da. ^^ Über die Fußgängerbrücke an der Müllverbrennungsanlage („garbage factory“ – das klingt eher wie eine Fabrik, in der Abfall
hergestellt wird!), auf der in einer Folge jemand angegegriffen wird, bin ich gerade an dem Tag, bevor ich die Folge gesehen habe, zum ersten Mal gelaufen. Und wenn ich an der Auffahrt zur Schnellstraße vorbeikomme, wo Celty immer raufheizt, sehe ich mich jedesmal um, ob ich sie sehe. ^^
Bisher habe ich nur über Ikebukuro gesprochen, nicht über „Durarara!!“. Das hat seinen Grund: Denn genau so kommt mir die Serie auch vor. Deswegen noch ein paar weitere Worte zu diesem Ortsteil.
Er wird gern als „aufstrebend“ bezeichnet, und wer schon mal in einer „aufstrebenden Touristengegend“ Urlaub gemacht hat, der weiß, daß „aufstrebend“ so viel heißt wie: ist Schrott, will aber mal was werden. Ikebukuro ist wahrlich keine schöne Ecke. Zudem ist es vor allem dafür berühmt, daß ältere Herren hier die Clubs finden, in denen sie mit Schulmädchen … nun … ausgehen können. (Diese Clubs sieht man, wenn man aus dem Westausgang des Bahnhofs kommt und sich nach rechts wendet, oder wenn man aus dem Nordausgang kommt und dann geradeaus und an der ersten Ampel nach links, weg von der Bahnlinie, geht.) Alles in allem also nicht unbedingt Tôkyôs Vorzeigeecke. (Wenn man in Ikebukuro in die Yamanote-Linie ein- und in Shinagawa wieder aussteigt, dann denkt man, man wäre in einer anderen Welt gelandet!) Und während der ganzen Serie hatte ich das Gefühl, das genau dies geändert werden sollte: Image aufpolieren. Immer wieder fallen Sätze über das aufregende Leben in Ikebukuro, was es da alles gibt, was man da alles finden und erleben kann, daß es natürlich auch Schatten gibt, wo viel Licht ist, daß unterm Strich aber doch eigentlich alles schön ist. Das geht bis zum allerletzten Satz der Serie, in dem jemand sagt: „It was, at the same time, very, very strange, but also the sort of thing that could happen to anyone. Here in Ikebukuro …“ Eigentlich habe ich darauf gewartet, noch eine Grußbotschaft des Bezirksbürgermeisters von Toshima-ku zu hören, der diesen Werbe-Anime gesponsort haben könnte.
Mir ist es gleich in der ersten Folge aufgefallen. Daß Statisten als graue Schatten dargestellt werden, fand ich ein bißchen gewöhnungsbedürftig und irgendwie auch überflüssig (obwohl es andererseits eine ziemlich treffende Darstellung ist …); aber auch das Design der Hauptcharas ist doch irgendwie sehr schlicht geraten. Die Hintergründe dagegen sind liebevoll detailliert gezeichnet, so als hielten sie und nicht die Charaktere den Fokus. Schon da habe ich mich gefragt, wer in „Durarara!!“ eigentlich der Hauptdarsteller ist: Anri, Mikado, Masaomi & Co. – oder Ikebukuro? Zumal zwar auch mal eine dunkle Gasse gezeigt wird, die es überall in Tôkyô zur Genüge gibt, überwiegend jedoch die schöneren und aufgeräumten Ecken – und die sogar noch in besonders aufgeräumtem Zustand, ohne umgefallene Fahrräder und was einen sonst noch so alles stört.
Darüber hinaus jedoch kann ich meinen Vorrednern nur zustimmen: Die ganze Serie wirkt schlecht durchdacht und kaum konzipiert, sondern eher so, als hätte man sich von Folge zu Folge geschrieben und nachher gar nicht mehr so genau gewußt, wie man eigentlich angefangen hatte. Personen werden umständlich eingeführt, die dann gar nicht mehr gebraucht werden; wie zum Beispiel der Verkehrspolizist, der zu Beginn der zweiten Hälfte sogar im neuen Vorspann gezeigt und in der ersten Folge davon auch seinen Auftritt hat, dann aber nicht mehr gesehen ward bis zur allerletzten Folge, in der er dann noch mal kurz seines Amtes walten darf. Warum ist so jemand im Vorspann drin?! – Das gleiche gilt für mindestens einen anderen Charakter, der ebenfalls im zweiten Vorspann drin ist, aber nach ein oder zwei Folgen völlig von der Bildfläche verschwindet.
Die letzte Folge bemüht sich, alle Handlungsfäden zu einem Abschluß zu bringen, und grundsätzlich finde ich das sogar toll; denn Animeserien, deren Ende brennende Fragen offenläßt, gibt es wahrlich schon viel zu viele. Eine „Auflösung“ ist also eine prima Idee. Allerdings – ja, ja, wir Zuschauer sind aber auch nie zufrieden … – würde ich mir eine geistreiche, liebevolle, glaubwürdige und befriedigende Auflösung wünschen. Und davon abgesehen wurden nicht einmal alle Fragen abgehakt – es sei denn, ich habe etwas übersehen (was mir des öfteren passiert, wenn ich mit Untertiteln schauen muß, was nun mal gar nicht mein Ding ist). Dazu etwas im Spoiler:
Celty gibt die Suche nach ihrem Kopf anscheinend einfach so auf. Mir nichts, dir nichts.
Der seltsame Kopf im Glas indes ist immer noch da. Man erfährt nichts weiter über seine Herkunft.
Das Mädchen mit der Narbe am Hals – haben wir eigentlich gehört, woher sie diese Narbe hat?
Shizuos Kraft wird rein biologisch erklärt. Es sei sein normaler Körper, der nur, wenn er enthemmt ist, zu solchen übermenschlichen Aktionen in der Lage sei und dabei auch entsprechend beschädigt würde. Ist aber nicht sehr wahrscheinlich, rein physikalisch betrachtet, wenn man sich ansieht, was er so „leistet“!
Simon kann Shizuo paroli bieten. Aber obwohl er definitiv kräftiger gebaut ist als Shizuo, wird bei ihm nichts über besondere Kräfte gesagt. Und so oder so: Nicht übernatürliche menschliche Körper werfen keine Getränkeautomaten durch die Gegend!
Izaya wird in Merchandising-Material manchmal mit dämonisch roten Augen dargestellt, was zu seinen seltsamen Äußerungen „I love humans!“ passen würde. Aber er wird nie als übernatürliches Wesen gezeigt. Dagegen spricht er mit Simon am Ende russisch, was mich daran erinnert, daß ich über Izaya eigentlich herzlich wenig erfahren habe.
Auch die Charakterentwicklung, wo überhaupt eine stattfand, empfand ich als künstlich und unglaubwürdig. Auch dazu mehr im Spoiler:
Hat Anri eigentlich überhaupt eine Entwicklung erfahren? Letzlich ist sie immer noch „Parasit“, jetzt eben bei Mikado. Oder?
Mikado fand ich extrem unglaubwürdig. Erst wird er dargestellt als ein dummes Landei, das von der „großen Stadt“ Ikebukuro völlig geplättet ist und nicht mal der Unterhaltung seiner neuen Freunde folgen kann (letzteres ist allerdings durchaus realistisch), dann aber plötzlich erweist er sich als gerissen genug, der geheimnisvolle Gründer der Dollars zu sein. Hallo?!
Masaomis Wandlung wirkte irgendwie abgedroschen. Vielleicht einmal zu oft gesehen, so etwas … aber trotzdem. Daß er seine Freundin (die ich irgendwie auf den ersten Blick extrem unsympathisch fand) nicht retten konnte, weil er sich einfach nicht in die Höhle der (Entführer-) Löwen traute, fand ich völlig normal und menschlich. Seltsam wäre eher gewesen, hätte ein normaler Mittelschüler keine Angst davor gehabt; immerhin hatte er ja am Telefon mitbekommen, wie die Typen schon mit dem Mädchen umgegangen waren. Ist es nicht verständlich, daß er dann fürchtet, was sie erst mit ihm machen? – Aber dann so einfach „an der Aufgabe zu wachsen“ und schutzlos zum Gegner zu gehen, um sich umbringen zu lassen, wo war da der Sinn, wo war da die nachvollziehbare Entwicklung? Und sie, derweile, verzeiht ihm mal so nebenher, so daß sie der untergehenden Sonne hinterherreiten können. Naaa ja!
Das Schlimme ist, das Ende von „Durarara!!“ ist mal wieder so angelegt, daß man problemlos eine weitere Staffel anschließen könnte. Bitte nicht. Ich glaube irgendwie nicht, daß es besser werden würde …
Ich habe die Szene vor Augen, wie die Idee zu „Durarara!!“ geboren worden sein könnte. Der Bezirksbürgermeister von Toshima-ku besucht eine Animationsschule, und gaaanz zufällig schlägt er den Studenten vor: „Hört mal, Jungs … habt ihr nicht Lust auf ein Praktikum? Damit könnt ihr euch schon mal einen Namen machen! Ihr kennt doch Ikebukuro.“ Gequältes Lächeln bei den Studenten. Natürlich kennen sie Ikebukuro, aber Fans davon sind sie sicher nicht. „Das ist ein ganz toller, aufstrebender Stadtteil!“, fährt der Bürgermeister fort. „Der könnte ein bißchen Imagepflege gut gebrauchen! Wollt ihr nicht eine spannende Serie schreiben, die in Ikebukuro spielt? In der eure Helden viele Abenteuer am Bahnhof und in der Sunshine City und bei animate erleben? Wir können euch leider nichts zahlen, aber ihr könnt in den Kantinen der Verwaltung kostenlos essen, wenn ihr in Ikebukuro seid, um Photos von der Gegend zu machen, damit ihr sie später gut zeichnen könnt!“ Die Studenten drucksen ein bißchen herum, wie Japaner es so gern tun, dann fängt einer an: „Also eigentlich ist das doch eine tolle Idee! Da können wir doch gut Erfahrungen sammeln!“ – „Ja genau. Das stimmt eigentlich.“ – „Gut, das machen wir! Worüber wollen wir die Serie machen?“ – „Schule … und eine Romanze!“ – „Ja, und Abenteuer … Gegensätze! Da fährt doch diese Bahnlinie nach Saitama!“ Alle kichern. (Die Präfektur Saitama hat kein gutes Ansehen unter Japanern.) „Au ja! Da lassen wir so ein blödes Landei aus Dasaitama nach Tôkyô kommen!“ (Das ist eine verächtliche Bezeichnung, die aus dem Schimpfwort dasai und Saitama gebildet wird --> „Scheiß-Saitama“.) „Aber wir brauchen auch ein Mystery-Element! Irgendeinen Dämonen!“ – „Nein, lieber was Ausländisches. Das ist doch viel spannender! Zum Beispiel aus Irland!“ – „Liegt das nicht in Kalifornien?“ – „Baaaka! Natürlich nicht! Irland liegt in Italien!“ – „Ach so!“ – „Wie wäre es mit Jugenbanden?“ – „Au ja! Und Verfolgungsjagden auf den Expressways!” – „Na klar! Und einen doofen Russen, der Schuhe verkauft und sie nicht loswird!“ – „Laß ihn doch ’ne Sushi-Bar haben, wo keiner essen will! Russisches Sushi ist bestimmt leeeecker!“ *griiins* „Und dann brauchen wir noch …“ – „Ja, und wir müssen unbedingt …“ – „Und irgendwo bringen wir bestimmt auch wen unter, der immer …“ Der Bezirksbürgermeister steht zufrieden auf. „Ich verlaß’ mich auf euch, Jungs. Ihr macht das schon. Ganbatte ne!“ Und schon ist er weg. Derweile fragt einer der Studenten: „Wie wollen wir das Ganze denn nennen?“ Genau in diesem Moment ist die Pause zuende. „DRRR!!“ macht die Schulklingel. – „Genau!
So nennen wir die Serie!“